Wer nutzt welche sozialen Medien für Nachrichten?
Regelmäßige Befragungen wie der Reuters Digital News Report zeigen, dass soziale Medien bei vielen Menschen in Deutschland einen festen Platz in der Nachrichtennutzung einnehmen
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. Besonders von jungen Menschen werden sie regelmäßig genutzt; bei der Bundestagswahl 2021 stellten soziale Medien für knapp die Hälfte der Erstwähler:innen die wichtigste Quelle für politische Informationen dar
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. Sehr häufig werden soziale Medien aber mit zahlreichen anderen Nachrichtenmedien kombiniert, sodass die spezifischen Auswirkungen der Nutzung sozialer Medien schwer zu bemessen sind
Milieuorientierte Studien legen nahe, dass starke Effekte sozialer Medien besonders bei zwei Gruppen zu erwarten sind: bei Menschen, die fast nur über soziale Medien mit Nachrichten in Kontakt kommen oder deren Netzwerk an Kontakten in sozialen Medien sehr homogen in Bezug auf politische Meinungen ist
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. Die anderen Milieus nutzen auch zahlreiche andere Nachrichtenquellen, wodurch der Konsum sozialer Medien weniger stark ins Gewicht fällt.
Eine Analyse großer Datenmengen zu digitalisierter Nutzung zeigt zudem, dass soziale Medien als Verteiler fungieren, über die durchschnittliche Nutzer:innen mit mehr Nachrichten in Kontakt kommen, als es sonst der Fall wäre
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. Über die inhaltliche Ausrichtung dieser Nachrichten kann die Studie keine Aussage treffen, wozu es bei US-amerikanischen Studien mit großen Nutzungsdatensätzen zumindest eine Annäherung gibt: Im dortigen Zweiparteiensystem nutzen Forscher:innen den Anteil von Menschen mit einer bestimmten Parteineigung, die einen Beitrag online angesehen haben, als Indikator für dessen vermutliche politische Ausrichtung (republikanisch, demokratisch oder ausgeglichen beziehungsweise politisch unabhängig). Dabei zeigt sich, dass die große Mehrheit der Nutzer:innen auf Medienbeiträge zugreift, deren Ausrichtung neutral ist und die über beide Parteien sowie Menschen ohne Parteipräferenz hinweg häufig genutzt werden
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. Lediglich kleine Extremgruppen am Rand nutzen vor allem Beiträge, die nur in ihrem eigenen politischen Lager beliebt sind.
Diese Ergebnisse rufen in Erinnerung, dass es zahlreiche politische Meinungen gibt, die bereits vor der Mediennutzung bestehen, auch der Nutzung sozialer Medien, und die die Zuwendung zu Inhalten beeinflussen können. Bei bestehenden politischen Meinungen erscheint es plausibel, dass sich die Nutzung sozialer Medien verstärkend auswirkt, wenn man meinungskonforme Beiträge nutzt oder ausgleichend, wenn man auf meinungsvielfältige Beiträge zugreift. Tatsächlich konnte in einer Befragung von Facebook-Nutzer:innen in Deutschland kein Effekt auf die eigene Meinung beobachtet werden
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. Viel mehr als die Nutzung von Facebook hängen das Geschlecht und die Nutzung von Tageszeitungen mit der politischen Meinung zusammen: Frauen und Leser:innen von Tageszeitungen haben eine deutlich moderatere politische Meinung als Männer beziehungsweise Nicht-Leser:innen. Auch dieses Ergebnis betont noch einmal die Relevanz der Nutzung anderer Medien für die Meinungsbildung, über soziale Medien hinaus.
Experimente zu Meinungsbildung
Anstatt wie in dieser Studie die Effekte der tatsächlichen alltäglichen Kuratierung sozialer Medien zu erforschen, wobei zahlreiche Drittfaktoren eine Rolle spielen, führen andere Forscher:innen Experimente durch. Dabei zeigen sie Proband:innen meinungshaltige Beiträge aus sozialen Medien und erfragen mögliche Veränderungen der politischen Meinungen der Nutzer:innen. So lässt sich der spezifische Einfluss von Beiträgen aus sozialen Medien kontrolliert bestimmen. Eine Überblicksarbeit zu sieben solcher Experimentalstudien zeigt, dass sich vor dem Experiment bestehende Meinungsunterschiede durch das Zeigen von Posts aus sozialen Medien vertiefen
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. In einer österreichischen Studie zum Beispiel sahen politisch links stehende Proband:innen einen rechtspopulistischen Politiker negativer, nachdem sie zwei seiner migrationsfeindlichen Tweets gesehen hatten
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Man spricht in solchen Fällen von einer Polarisierung der Meinungen durch soziale Medien. Allerdings können Experimente dieser Art nicht beantworten, ob es sich um eine wirkliche Meinungsveränderung handelt oder eher die Meinung zu dem Politiker durch die Tweets stärker in Erinnerung gebracht wird. Ebenso ist unklar, wie lange der Effekt nach der Nutzung anhält. Und angesichts der vielen Auswahlentscheidungen, die Nutzer:innen in sozialen Medien im Alltag treffen, stellt sich drittens ein Henne-Ei-Problem: Wenn man sich Kontakte in sozialen Medien nach Ähnlichkeit sucht und Beiträge liket, die der eigenen Meinung entsprechen, woraufhin eine Plattform einem zukünftig ähnlichen Content anzeigt, wie sehr ist eine Meinung dann schon vor der Nutzung polarisiert und wie stark ist der zusätzliche Effekt durch soziale Medien noch?
Zusammengefasst werden also vielfältige Auswirkungen der Kuratierung auf die Nutzung von Nachrichten in sozialen Medien sowie die Meinungsbildung untersucht. Polarisierungseffekte werden in Experimenten durchaus nachgewiesen. Aber die meisten Menschen kommen in sozialen Medien mit vielfältigen und meinungsmäßig ausgewogenen Beiträgen in Kontakt. Zudem stellen soziale Medien für viele Altersgruppen nur eine unter vielen Nachrichtenquellen dar.